Lesen Sie eine kurze Geschichte von Golenhofen (Kreis Posen), geschrieben von Frank Rohowski, in seinem Buch über die Nachbarschaft zum Truppenübungsplatz Warthelager.
Das Buch behandelt die Geschichte des Truppenübungsplatzes Warthelager von seiner Entstehung am Ende des 19. Jahrhunderts bis kurz nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Das Schlusskapitel hingegen handelt von einem ganz besonderem Nachbarn des Truppenübungsplatzes, nämlich dem Ansiedlerdorf Golenhofen und seiner aussergewöhnlichen Geschichte.
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Golenhofen – ein aussergewöhnlicher Nachbar des Truppenübungsplatzes Warthelager
as Dorf Golenhofen (bis 1906 Golenczewo bzw. Golentschewo, heute poln. Golęczewo) befindet sich an der südwestlichen Grenze des Truppenübungsplatzes Warthelager, knapp drei Kilometer westlich des ehemaligen Gutes Knischin, dem späteren Übungsdorf „Skalitz”. Golenhofen hat – wie auch der Truppenübungsplatz – eine besondere Geschichte, die lohnt, erzählt zu werden!
Am 26. Oktober 1901 erwarb die Königlich Preussische Ansiedlungskommission für Westpreussen und Posen im Rahmen einer Zwangsversteigerung das Rittergut Golentschewo. Der Kaufpreis für das 650 Hektar grosse Areal betrug 530.000 Mark. Es gehörte bis dahin dem polnischen Adligen Zygmunt Błociszewski. Geplant war, hier ein deutsches Musterdorf im Einklang mit den Zielen des Deutschen Ostmarkenvereins zu erschaffen.
Das Ziel dieses Vereins war die Stärkung des Deutschtums und – damit verbunden – die Zurückdrängung des Polentums in den Provinzen Posen und Westpreussen im Zusammenwirken mit der Ansiedlungskommission. Von den 2,1 Millionen Einwohnern in der Provinz Posen waren bei der Volkszählung 1910 etwa ein Drittel Deutsche und zwei Drittel Polen. Mit dem Ostmarkenverein sollte eine Antwort auf den wachsenden Anteil der polnischen Bevölkerung gefunden werden, worauf schon die 1886 gegründete Ansiedlungskommission zu reagieren versuchte. Unter anderem wurden im Rahmen dieser Politik Landkäufe durch Polen erschwert und zahlreiche Ortsnamen eingedeutscht.
Das alte polnische Gut und das Gutshaus von Golentschewo waren zum Zeitpunkt des Kaufs stark vernachlässigt, sodass zunächst umfangreiche Vorbereitungs- und Sanierungsarbeiten durchgeführt werden mussten.
Das neue „deutsche” Dorf wurde zwischen 1902 und 1905 ganz in der Nähe des bestehenden „polnischen” Dorfes gebaut und unmittelbar danach an die Ansiedler vergeben. Im August 1906 erfolgte die Zusammenlegung der beiden Dorfteile unter dem neuen Namen „Golenhofen”.









Das neue Dorf fand sogar in der auslandsdeutschen Presse Beachtung. So meldete die Zeitung „Der Deutsche Correspondent” aus Baltimore, Maryland (USA) am 9. November 1906: „Der polnische Gutsbezirk Golentschewo wurde in eine Landgemeinde umgewandelt und erhielt den Namen Golenhofen.”
Der Ort ist unter den Ansiedlungsdörfern ein Sonderfall, denn es wurde zusätzlich als Musterdorf und deshalb mit besonderem Augenmerk auf seine architektonische Wirkung gebaut. Als Musterdorf wird es deshalb bezeichnet, weil es erstens zu Werbezwecken für Besichtigungen Ansiedlungswilliger genutzt wurde und zweitens um Anregungen zu einer vorbildhaften Anlage und Einrichtung neuer Bauten zu liefern. Das Musterdorf sollte Ansiedlungswillige in anderen Dörfern in den Ostprovinzen zum vorbildlichen Gehöftbau ermutigen, denn diese konnten, ja sollten sogar ihre Häuser so bauen, wie sie es aus ihrer bisherigen Heimat gewöhnt waren.
Golenhofen ist in weitläufige Wiesen und Felder eingebettet und wurde als Strassendorf mit an beiden Strassenseiten dicht aneinander gereihten Gehöften angelegt. Das Dorf entstand explizit als geschlossene Anlage. Abseits liegende Gehöfte wurden nur in sehr geringem Umfang errichtet. Es sollte ein Dorf mit hohem Selbstversorgungsgrad werden, was durch den Bau eines Gemeindehauses mit Betsaal und Schule, eines Gasthauses, eines Bade-, Wasch- und Backhauses, einer Feuerwehr und einer eigenen Wasserversorgung ermöglicht werden sollte.
Die Gesamtanlage sowie die einzelnen Gebäude wurden im Bauamt der Ansiedlungskommission in Posen vom Regierungs- und Baurat Paul Fischer geplant, der ab 1896 – zu der Zeit als Regierungsbaumeister – für das Bauwesen in der Ansiedlungskommission zuständig war.
Fischer setzte durch, dass die Kommission die Ausführung der Bauarbeiten nicht an Unternehmen vergab, sondern in Eigenregie durchführte, was nach Ansicht Fischers besser und kostengünstiger sei.
Gerade Billigkeit und Zweckmässigkeit waren Begriffe, die im Zusammenhang mit der Ansiedlung von grösster Bedeutung waren, weil es hauptsächlich Bauern mit einem eher kleinen Vermögen waren, die sich für einen Neuanfang entschieden hatten.
Obwohl auch Golenhofen als zweckmässig und kostengünstig beschrieben wurde, zeigte es sich trotzdem insofern als Ausnahme, weil es vor der Besiedlung von der Ansiedlungskommission (und nicht von den Ansiedlern selbst) für 719.000 Mark gebaut wurde, wobei die Baukosten jedes Gehöfts zwischen 9.000 und 12.000 Mark lagen.
Dass die Gehöfte im Vergleich teurer waren als solche, die von Ansiedlern selbst gebaut wurden, liegt nahe, denn sie wurden als Musterhäuser geplant, um vorbildhaft zu wirken. Dass normale Ansiedlerhäuser diese Anforderungen nicht erfüllten, machte Paul Fischer 1911 deutlich: „Wo freilich die Ansiedler auf eigene Faust bauen dürfen, treten meist recht bescheidene Kunstleistungen zu Tage. Ziegelrohbauten nüchternster Art – die Bezeichnung ‚roh’ müsste unterstrichen werden – bilden die Regel.”
In Golenhofen dagegen wurden alle Gehöfte sehr vielseitig geplant: Sie sind aus unterschiedlichen Materialien, mit verschiedenen Grundrissen sowie mit jeweils sehr individuellem äusseren Erscheinungsbild gebaut worden. So fanden sich gleichsam das thüringisch-fränkische Bauernhaus neben dem badischen und dem niedersächsischen Bauernhaus. Trotzdem sind die Häuser unabhängig von der Herkunft der Ansiedler geplant worden. Diese sind nämlich erst nach deren Fertigstellung aus Süddeutschland (besonders aus Baden), aus Hannover, Westfalen, Pommern und Sachsen zugezogen. Es waren jedoch auch deutsche Rückwanderer aus Russland, dem früheren Ungarn und sogar aus Amerika dabei.
Die Siedler wurden zuvor sorgfältig ausgewählt. Akzeptiert wurden nur deutsche Protestanten, deutsche Katholiken hingegen wurden als „zu anfällig für eine Polonisierung” abgelehnt.
Die Grösse der Bauernhöfe und der zugeteilten Ackerflächen waren dabei so bemessen, dass die jeweilige Siedlerfamilie diese ohne Zuhilfenahme zusätzlicher Arbeitskräfte bewirtschaften konnten. Ziel war es, einen Zwang zur Beschäftigung polnischer Landarbeiter von vornherein zu verhindern. Bauernfamilien, die ihren Hof dennoch nicht allein führen konnten, hatten die Möglichkeit, die in Golenhofen angesiedelten deutschen Arbeiter einzustellen.
So wie in der grossen Auseinandersetzung zwischen deutscher Verwaltung und polnischer Bevölkerung auf Provinzebene entwickelten sich auch in Golenhofen soziale Spannungen. Diese lagen im Konflikt der zwei „Siedlergruppen”, nämlich den Zuwanderern aus dem Reichsinneren und den Rückkehrern aus dem Osten, begründet.
Die Ansiedler aus dem Westen hielten sich für höherwertig und wurden von der Provinzverwaltung bei der Besetzung der Gemeindestellen bevorzugt. Die Verwaltung machte so im kleinen Dorf dieselben Fehler wie in der grossen Provinz. Auch aus diesem Grund wurde Golenhofen trotz staatlicher Bemühungen nicht das „deutsche Musterdorf”, dass man sich in der Ansiedlungskommision gewünscht hatte. Schlimmer noch, eine Vorbildwirkung auf dem Gebiet des Bauens und der Architektur wurde bei der polnischen Bevölkerung andernorts nicht erreicht. Man muss allerdings auch dazu sagen, dass der Zeitraum zwischen 1905 und 1918 zu kurz war, um die allgemeinen architektonischen Gewohnheiten der Landbevölkerung nachhaltig zu beeinflussen.
Dennoch wurde man bei den staatlichen Stellen nicht müde, die Leistungen der deutschen Ansiedler in Golenhofen gegenüber Journalisten und Politikern herauszustreichen. Zu diesem Zweck wurden spezielle Reisen nach Golenhofen organisiert, so z. B. am 24. Mai 1909, am 6. Juni 1910 und im September 1913.
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges und der Übernahme der Provinz Posen durch den neuen polnischen Staat verkauften die meisten Ansiedler ihre Höfe und verliessen das Dorf.
Die Ortschaft ist heute Heimat von etwa 1.200 Einwohnern. Zahlreiche Gebäude aus der Zeit des Musterdorfes sind erhalten geblieben und sind besonders für Architekturinteressierte eine Reise wert.
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